Würde und Palliative Care

Menschenwürde

Würde hat viele Aspekte. Da gibt es zunächst die Menschenwürde, eine Grundsäule unserer Gesellschaft und ein führendes Prinzip von Rechtsordnung und Gesellschaft in demokratischen Gesellschaften. Der Ausdruck \“Menschenwürde\“ beschreibt die Grundhaltung, dass jeder Mensch den bedingungslosen Wert hat, dass seine Grundbedürfnisse und Grundrechte (Menschenrechte) – also etwa das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Meinungsäußerung oder freie Religionsausübung – \’ohne wenn und aber\‘ zu achten sind.

Würde und Prestige

Würde ist ebenso auch ein soziales Phänomen und dieser Aspekt kann – im Gegensatz zu der bedingungslosen Menschenwürde – erworben oder verloren werden. Sie findet sich etwa in dem Ausdruck \“die Würde seines/ihres Amtes\“ oder \“Adel verpflichtet\“.

\“Im römischen Sprachgebrauch bezieht sich »dignitas« zunächst auf das Herkommen oder das Amt und vor allem auf die individuelle politische Leistung und moralische Integrität.\“ (Spektrum.de) Diese Form der Würde kann verschiedene Ausprägungen haben und damit soziale Erwartungen prägen. Würde als soziales Phänomen ist im Allgemeinen mit sozialer Anerkennung (Ehre) und Prestige verbunden.

Würde und Ich-Ideal

Im heutigen Sprachgebrauch ist die Verbindung von \’dignitas\‘ und Prestige mit einem allgegenwärtigen Narzissmus vermengt. Wir streben (verzweifelt) danach, einem Ich-Ideal zu entsprechen, das durch Zeitgeist und damit vor allem kommerzielle Interessen geprägt ist. Wir sind dadurch (etwa durch Werbung oder Influencer – was für ein passender Ausdruck!) ungemein manipulierbar, weil das Streben nach dem Ich-Ideal mit einem kümmerlichen Selbstbild verknüpft ist. Es ist schwer zu ertragen, wie dick, wie dumm, gierig, verschwenderisch oder wie hässlich wir uns erleben. Für Besucher aus fremden Kulturen ist schwer nachzuvollziehen, mit welcher Ablehnung der westliche Mensch sich selbst begegnet.

Sie sind gierig, egozentrisch und verschwenderisch. Politisch engagieren sie sich kaum, auch halten sie sich nicht für selbstständig, verantwortungsbewusst oder gar fleißig. Sie sind weder aufopferungsvoll noch würden sie sich als mitfühlend bezeichnen. Kurz: Junge Menschen im Alter von 18 bis 34 haben eine ziemlich schlechte Meinung von sich selbst.

Zu diesem Ergebnis sind Forscher in den USA gekommen. Für eine repräsentative Studie haben sie rund 3100 Erwachsene unterschiedlicher Generationen gefragt, wie sie sich selbst einschätzen. […] 59 Prozent der Jungen sagten, sie seien „egozentrisch“, 49 Prozent „verschwenderisch“ und 43 Prozent hielten sich für „gierig“.

Die Welt: Warum die Generation Y sich selbst so hasst, September 2015

Die Ergebnisse dieser Studie aus dem Jahr 2015 gelten im Jahre 2022 nicht mehr nur für \’die Jungen\‘ im wohlhabenden Teil dieser Welt. Angesichts des Flurschadens, den die Menschheit in dieser Welt hinterlässt, verwundert das nicht.

In seiner starken Ausprägung führt der Narzissmus dazu, dass wir unsere eigene Großartigkeit darin bestätigt finden, dass wir andere Wesen vor allem so wahrnehmen, dass sie uns noch schlechter und noch kümmerlicher vorkommen als wir uns selbst erleben.

Das Faszinierende daran ist, dass wir uns dessen mitunter gewahr sind und uns dieser Manipulation mehr oder weniger bewusst unterwerfen. Damit wird aber das, was wir als würdevoll erleben, zu einem Empfinden von \‘passend zum Ich-Ideal\‘. Diese Passung – und damit das Erleben von Würde – ist aber ungemein fragil, weil sie normalerweise der Bestätigung von außen bedarf.

Vergleiche dazu

Würde als innere Qualität und Ressource

Würde kann auch Ausdruck für eine innere Qualität sein, die Schiller eine \“erhabene Gesinnung\“ nannte. Diese Qualität ist unabhängig von Anerkennung und Prestige und zeichnet sich dadurch aus, dass sie in schwierigen Situationen oder herausfordernden Zeiten eine Stütze ist, die innere Stärke verleihen kann. Diese Qualität ist mit dem Erleben von Sinn bzw das Fehlen von dieser Qualität mit dem Erleben von Sinnlosigkeit, Demoralisierung oder Hoffnungslosigkeit verbunden.

Würde und Scham

Das Erleben von Scham ist oftmals ein Hinweis darauf, dass bei einer Person die Würde verletzt wurde. Das kann etwa konkret bedeuten, dass Grundbedürfnissen des Menschen nach persönlicher Integrität, sozialer Teilhabe (Zugehörigkeit und soziale Wahrnehmung), Anerkennung (etwa Würdigung des persönlichen Leidens) oder Schutz nicht entsprochen wurde.

Dignity Therapy

Chochinov und andere entwickelten im Kontext der \’Dignity Therapy\‘ (Würdetherapie) ein Konzept von Würde, das auf drei Säulen beruht. Diese Säulen beziehen sich teils auf die Menschenwürde, auf die soziale Würde und teils auf die innere Ressource. Diese drei Säulen beschreiben Handlungsräume, in denen Themen beschrieben werden, die für eine würdebewahrende Versorgung von Bedeutung sind. So beeinflussen einzelne Aspekte die Verletzlichkeit der Person und mahnen besondere Achtsamkeit oder Behutsamkeit ein, vor allem dann, wenn durch diese Aspekte die Autonomie des Gegenüber eingeschränkt wird.

Krankheitsbezogene Belange

Unabhängigkeitsgrad
  • Kognitive Verfassung
  • Funktionelle Kapazität
Symptombelastung
  • Körperliche Belastung
  • Psychische Belastung (zB Unsicherheit in medizinischen Fragen, Angst vor dem Tod)

Würde bewahrendes Repertoire

Würde bewahrende Perspektiven
  • Selbst-Kontinuität
  • Aufrechterhaltung von Rollen
  • Generativität, Vermächtnis
  • Bewahrung von Stolz
  • Autonomie/Kontrolle
  • Hoffnung
  • Akzeptanz
  • Resilienz/Kampfgeist
Würde bewahrendes Handeln
  • Leben im Hier und Jetzt
  • Aufrecherhaltung von Normalität
  • Bestreben nach spirituellem Einklang

Soziale Würde

Privatsphäre
Soziale Unterstützung
Pflegerische Grundhaltung
Anderen eine Last sein
Sorgen hinsichtlich ungeregelter Dinge in der Zeit nach dem Tod

aus Schramm et al 2014

Siehe auch

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